Bildung in der Migrationsgesellschaft

Beitragbild von Asiyeh Panahi

Bildung in der Migrationsgesellschaft. Eine Festveranstaltung zu 10 Jahren C3. Veranstaltungsbericht von Daniela Hinderer / Paulo Freire Zentrum

Das C3 – Centrum für Internationale Entwicklung in Wien ist ein Raum für Wissenschaft und Bildung, ein Ort der Begegnung. Anlässlich der Jubiläumsfeier am 6. November 2019 kamen im Foyer des C3 Wissenschaftler*innen, eine Poetry-Slammerin und Freund*innen des Hauses zusammen.

Diskussion und Reflexion globaler Verhältnisse 

„Es war ein mutiger Schritt, die fünf Organisationen zusammenzuziehen“, so Andreas Novy in seiner Eröffnungsrede, der selbst im Aufsichtsrat der Österreichische Forschungsstiftung für Internationale Entwicklung (ÖFSE) und im Beirat des Paulo Freire Zentrums engagiert ist. Die fünf Hausorganisationen, das sind die ÖFSE, BAOBAB, die Frauen*solidarität, das Paulo Freire Zentrum und der Mattersburger Kreis. Sie alle bieten im C3 Raum für Diskussion und Reflexion. Novy sieht das C3 als einen „Kristallisationspunkt“ mitten in Wien, der Verantwortung übernimmt für globale Verhältnisse.

Bildung, die Widersprüche aushält

Keynote-Speakerin María do Mar Castro Varela, Professorin für Allgemeine Pädagogik und Soziale Arbeit an der Alice Salomon Hochschule Berlin und Gründerin des bildungsLab* Berlin, erinnerte in ihrer Rede an die widersprüchlichen Praktiken der europäischen Gesellschaft, die sich ihres zivilisatorischen Fortschritts und moralischen Anspruchs rühmt, während Flüchtende im Meer ertrinken. Im Hinblick auf die Frage der Bildung in Migrationsgesellschaften forderte sie eine „kontrapunktierende Bildung“, eine Bildung, die ein Denken außerhalb der gewohnten Praktiken fördert und unauflösbare Widersprüche beim Namen nennt (zum ausführlichen Bericht über die Rede).

Gerald Faschingeder, Direktor des Paulo Freire Zentrums, griff das von Castro Varela geforderte Denken in Widersprüchen auf. Es brauche ein permanentes Reflektieren der eigenen ‚Positionalität‘ innerhalb der Strukturen, in die wir eingebettet sind. Auch Bildung selbst sei widersprüchlich. Es gehe darum, Fragen aufzuwerfen, Alternativen anzudenken. Wie kann Bildung anders gedacht werden? Wie kann Entwicklung anders gedacht werden? Das Paulo Freire Zentrum und der Mattersburger Kreis als Orte des kritischen Dialogs wollen solche Fragen und Reflexionen ermöglichen. Der Mattersburger Kreis versteht sich als Dachverband der entwicklungspolitischen Forschung und Lehre an den österreichischen Hochschulen und trägt mit seinen Aktivitäten zu einer Intensivierung des Wissenstransfers, einer lebendigen Debattenkultur und einer besseren Vernetzung zwischen Wissenschaft und Praxis bei. Das Paulo Freire Zentrum betreibt eine von Paulo Freire inspirierte entwicklungspolitische Bildungsarbeit und befasst sich im Sinne Freires mit Fragen von Bildung und Politik, und damit nach Ungleichheiten und Entwicklung, Konflikten und Ein- und Ausschlussmechanismen.

Die Geschäftsführerin von BAOBAB – Globales Lernen, Heide Tebbich, verwies auf die Tatsache, dass Migration der Bildung inhärent ist. Der hohe Anteil an Schüler*innen mit nicht-deutscher Alltagssprache stellt für die Lehrenden oftmals eine Herausforderung dar, andere Sprachen werden abgewertet. Als zentraler Lern- und Kommunikationsort zu Globalem Lernen, Sprachförderung und Diversität will BAOBAB auf Chancengleichheit hinarbeiten und zu einem reflexiven Umgang mit kultureller und sprachlicher Diversität beitragen, so Tebbich. BAOBAB fördert mit seinen Bildungs- und Serviceangeboten für Schulen die Auseinandersetzung mit globalen Themen und dem Leben in einer vielfältigen Gesellschaft.

“Entwicklungspolitik fängt in Österreich an.”

Werner Raza, der die ÖFSE – Österreichische Forschungsstelle für Internationale Entwicklung leitet, schloss an das von do Mar Castro Varela erwähnte Konzept des Kontrapunkts an. Eine kontrapunktierende Forschung kann hinterfragen, was als normal empfunden wird – und welche Praktiken des Globalen Nordens zu Lasten der Menschen des Globalen Südens gehen. „Entwicklungspolitik fängt in Österreich an“, so Raza. Auch die Bibliothek des C3 könne als Archiv angesehen werden, wie über Entwicklung gedacht wurde und wird. Der Bestand der Bibliothek enthalte nicht nur aufklärerische, sondern ebenso alte, rassistische Werke. Raza betonte in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit, das Gelesene kritisch zu hinterfragen, einzuordnen und zu reflektieren. Die Freiräume für ein solches kritisches Denken an Schulen aber würden immer kleiner werden. Die C3-Bibliothek will junge Menschen unterstützen, sich mit solchen Fragen auseinanderzusetzen und Räume für politische Diskussion schaffen. Die ÖFSE erweitert als kritisch orientierte Forschungsinstitution durch Information, Dokumentation, Reflexion und Forschung den Horizont der entwicklungspolitischen Diskussion und Praxis.

Ulrike Lunacek betonte in ihrer Rolle als Obfrau der Frauen*solidarität, wie wichtig es ist, einen kritischen Blick auf bestehende Machtstrukturen zu werfen. Insbesondere auch darauf, wie Entwicklungshilfe funktioniert – in Österreich und im globalen Kontext. „Man redet von Bauern, aber nicht von Bäuer*innen und auch nicht mit Bäuer*innen“, so Lunacek. Es gehe darum, Frauen selbst sprechen zu lassen; nicht darum – wie so oft gefordert – Frauen eine Stimme zu geben. Denn, so die ehemalige Grünen-Spitzenkandidatin, Frauen sind nicht Opfer, sondern handelnde Akteur*innen. Die Frauen*solidarität leistet Informations-, Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit über Frauen weltweit sowie zu globalen Machtverhältnissen aus feministischer Sicht. Sie trägt mit ihrer Arbeit zur Durchsetzung von Frauenrechten bei und engagiert sich für eine Welt frei von Sexismus, Rassismus und Homophobie.

Erfahrung gedichtet

Der Poetry-Slam von der im Iran geborenen Asiyeh Panahi bildete den Abschluss des Abends. Ihre ganz persönlichen Erfahrungen als iranische Schülerin in einer Grazer Schulklasse und mit dem österreichischen Bildungssystem hauchte dem wissenschaftlich dominierten Diskurs echtes Leben ein.

Daniela Hinderer studiert Internationale Entwicklung an der Uni Wien und ist Praktikantin im Paulo Freire Zentrum. Reaktionen bitte an redaktion@pfz.at.

Fotos: © Michael Straub