Nachts ist es leise in Teheran

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© Joachim Gern

Buchpräsentation und Gespräch mit Shida Bazyar
Veranstaltungsbericht von Biljana Pavic / Frauen*solidarität

Am 7. Juni lud die Frauen*solidarität gemeinsam mit den Büchereien Wien zur Präsentation des Romans „Nachts ist es leise in Teheran“ mit Shida Bazyar. Die Autorin las vor einem zahlreichen Publikum – es waren insgesamt 120 Besucher_innen anwesend – Auszüge aus ihrem viel gepriesenen Debüt. Durch den Abend führte die Journalistin Sibylle Hamann, die zwischen den gelesenen Passagen immer wieder in einen spannenden Dialog mit Shida Bazyar trat. Gegen Ende hatte auch das Publikum die Möglichkeit, Fragen an die Autorin zu richten. Der anschließende Umtrunk bot Gelegenheit, mit der Autorin weiter zu diskutieren und sich das Buch signieren zu lassen.

Der Roman erzählt die Geschichte einer deutsch-iranischen Familie vor dem Hintergrund bedeutender politischer Umbrüche, von der islamischen Revolution im Iran bis in die jüngste Gegenwart. Jedes Kapitel führt uns in ein neues Jahrzehnt und wird aus der Perspektive eines anderen Familienmitglieds erzählt. Das Buch handelt von Widerstand und Flucht, von Fremdheit und dem Leben zwischen den Welten.

Es ist ein politischer Text, weil Bazyar, wie sie selbst sagt, ein Mensch mit einem kritischen Verständnis ist und ihre Haltung selbstverständlich auch in ihre Arbeit einfließt. „Ich hab´ aber so viel Liebe zu den Figuren und deren Eigenleben, dass es trotzdem Geschichten geworden sind, in denen die Figuren im Mittelpunkt stehen und das Politische so mitschwingt.“ Die Ereignisse im Buch basieren in Grundzügen auf den Erfahrungen von Bazyars Eltern, die wie das Elternpaar im Buch im kommunistischen Widerstand tätig waren und 1987 aus dem Iran geflohen sind. Obwohl die Figuren ansonsten frei gestaltet sind, ist es der Autorin wichtig, dass es sich bei ihrem Roman nicht um reine Fiktion handelt. „Das ist meinen Eltern in einer ähnlichen Form passiert, das ist vielen Menschen fast genauso passiert und wir reden nur vom Iran und Deutschland, es gibt so viele andere Länder. Da einen Bezug zur Realität zu kriegen, finde ich wichtig.“

Zu Beginn der Lesung begeben wir uns in den Iran im Jahr 1979. Der Shah regiert noch, aber es herrscht Unmut in der Bevölkerung. Sowohl religiöse als auch linke Gruppierungen gehen auf die Straße, um gemeinsam gegen den Monarchen zu protestieren. Wir treffen Behsad auf einer Demonstration, er ist überzeugter Kommunist und noch voller Hoffnung, dass die Genoss_innen das neue System stellen werden. Was in dieser Passage aufgegriffen wird, ist die Aufbruchsstimmung einer Generation, das Mitgerissenwerden von der Masse – aufregend und beängstigend zugleich. Shida Bazyar beschreibt hier einerseits den jugendlichen Kampfgeist, Behsads entschlossenes Einstehen für seine Ideale, und andererseits den bitteren Moment der Realisierung, dass das neue System, das sich anbahnt, nicht das freie System ist, das er sich vorgestellt hat. Die islamische Revolution zerschlägt jegliche Hoffnung jener Menschen, die an Freiheit, Selbstbestimmung und Demokratie geglaubt haben und führt zu einer massiven Beschneidung der Frauenrechte. Dass gerade dieses Kapitel aus männlicher Perspektive erzählt wird, bedauert Bazyar im Nachhinein. „Es ist schon eine kleine Machogeschichte, finde ich. Und schade, an mich selbst gerichtet, denn gerade in dieser Zeit gab es sehr starke Frauenbewegungen. Frauen sind auf die Straße gegangen, weil sie gewusst haben, was ihnen blühen wird, dass es zur Vorschrift wird, das Kopftuch zu tragen. Sie haben sehr klar formuliert, dass sie das nicht möchten und sie haben trotzdem nicht gewonnen.“

Im Zuge der Proteste lernt Behsad die Literaturstudentin Nahid kennen und lieben. Einige Jahre später müssen die beiden, bereits verheiratet, vor dem fundamentalistischen Regime von Ajatollah Khomeini fliehen. Wir machen einen Sprung ins Jahr 1989 und nach Deutschland, wo für den Frieden und gegen Atomkraft demonstriert wird. Nahid und Behsad sitzen – gemeinsam mit ihren beiden Kindern Laleh und Morad – bei den netten Ökolinken Ulla und Walter im Garten und grillen. Die Gespräche drehen sich um Tucholsky und Brecht, aber auch um die Tschernobyl-Katastrophe und die Proteste der Antiatombewegung. Nahid, die um das Leben der inhaftierten Genoss_innen in der Heimat bangt, findet Ullas Frauengruppe, in der „über Gemüse und die Luft“ gesprochen wird, und den Aktionismus der Antiatombewegung befremdlich. Eindrücklich beschreibt Bazyar in dieser Szene, wie es ist, wenn ein realer Krieg auch in unserem Leben ankommt, denn dass uns Menschen gegenübersitzen, die diese Gewalt erlebt haben, hat es vorher in Deutschland und Österreich jahrzehntelang nicht gegeben. Die beiden Paare mögen sich zwar und beide sind politisch engagiert, aber im Vergleich zu Nahid und Behsad, die vor einer existenziellen Bedrohung fliehen mussten, erscheinen die Kämpfe von Walter und Ulla beinahe unbedeutend. Diese Unterschiede müssen Bazyars Meinung nach manchmal einfach akzeptiert werden, anstatt sie krampfhaft auflösen zu wollen. Beide Erfahrungen haben ihre Berechtigung und entwerten sich nicht gegenseitig. „Manchmal muss man das so hinnehmen. Meine Gegenüber haben andere Erfahrungen gemacht, die ich nicht verstehe und ich Erfahrungen, die sie nicht verstehen, aber wir können trotzdem Grillen und einen netten Abend haben.“

Zehn Jahre später besucht die nun 16-jährige Laleh ihre zahlreichen Verwandten in Teheran, einer Stadt, die ihr gleichzeitig vertraut und fremd vorkommt. Wie aus einem Traum erinnert sie sich an Gerüche, Gesichter, Gesten von damals, als sie noch ein Kind war, die kulturellen Codes muss sie aber erst noch lernen. Aus Lalehs Perspektive erfahren wir etwas über die Alltagskultur in Teheran, und darüber wie Politik am weiblichen Körper ausgetragen wird. In einem Friseursalon lässt sie sich, wie die iranischen Frauen, mit einer speziellen Fadentechnik die Gesichtshaare entfernen und Augenbrauen zupfen. Im Iran, wo Frauen ihre Haare unter einem Kopftuch und ihren Körper unter einem Manto verstecken müssen, bekommt das Gesicht, als einzig sichtbarer Körperteil, einen zentralen Stellenwert. Perfekt in Form gezupfte Augenbrauen werden zu einem Ausdrucksmittel und einem Stück Selbstbestimmung in einem restriktiven System. Obwohl es strenge Kleidervorschriften und wenig Spielraum für Variationen gibt, lassen sich durchaus Trends in der Mode beobachten. Je nach politischer Phase und je nachdem wie streng die Strafen für Verstöße gerade sind, werden die Kopftücher dünner oder kleiner, die Mantos kürzer und enger. Auf den Straßen Teherans beobachtet Laleh Frauen, die einen Tschador tragen, ein großes schwarzes Tuch, das einfach übergeworfen wird, und sehnt sich beinahe nach der Anonymität und der vermeintlichen Sicherheit, die das Stück Stoff bieten soll. In Deutschland, denkt sie sogleich, wäre sie damit paradoxerweise nur noch mehr Blicken ausgesetzt. Dass die Verhüllung iranischen Frauen keinen Schutz vor sexueller Belästigung bietet, wird an einer anderen Stelle angedeutet, als Laleh plötzlich eine Hand auf ihrem Hintern spürt. Eine Meinung zum Kopftuch an sich zu haben, davon sei sie frei, erzählt Shida Bazyar, da dieses nur im Kontext des jeweiligen gesellschaftlichen Systems verstanden und beurteilt werden kann. „Eine von Grund auf sexistische Gesellschaft wird nicht besser oder schlechter, wenn man die Haare versteckt oder nicht versteckt. Wenn die Gesellschaft das akzeptiert, dass Männer Frauen anfassen, dann ändert das Kopftuch nichts.“

Als ihre Eltern in den 1970er Jahren gegen das System protestieren, ist Bazyar noch nicht auf der Welt. 2009 dann formiert sich, nach scheinbar langer Stagnation, erneut eine gewaltige Protestbewegung im Iran. Zu tausenden gehen vor allem junge Menschen auf die Straße, in Teheran und anderen Städten, um ihren Unmut über die Regierung kundzutun. Die Bilder von Demonstrationen und deren brutale Zerschlagung durch die Staatsmilizen gehen dank der sozialen Medien um die Welt. Dieses Kapitel der iranischen Geschichte wird im Buch vom 23-jährigen Mo, Lalehs jüngerem Bruder, erzählt. Plötzlich wird der Geographiestudent von der Geschichte seiner Eltern eingeholt und er verfolgt gebannt die Entwicklungen im Iran über YouTube und Facebook. Auch für Bazyar war das eine sehr intensive Zeit, sie erinnert sich an das Gefühl der aufkommenden Euphorie und Hoffnung, „weil es so schön wäre, wenn es wirklich einen Umbruch geben würde im Iran, weil dadurch auch all der Schmerz und all die Last der Elterngeneration gelöst werden könnten und sie endlich nach all den Jahren den Erfolg hätten, den sie wollten.“