Entre memorias. Erinnern an den bewaffneten Konflikt in Peru

Bild zu Entre Memorias

Ein partizipatives Filmprojekt über die Erinnerung an den internen bewaffneten Konflikt in Peru.
Veranstaltungsbericht von Linda Pasch / Frauen*solidarität

Was sind Erinnerungen und wie geht eine Gesellschaft mit unterschiedlichen Erinnerungen um? Welche Erinnerungen gehen in die Geschichtsschreibung ein und welche werden überhört und damit unsichtbar gemacht? Diese Fragen schwirrten zum Ende der Veranstaltung „Entre Memorias“ in meinem Kopf herum.

Martha-Cecilia Dietrich, Kulturanthropologin und Regisseurin des Films, gab zu Beginn der Veranstaltung eine kurze Einführung in ihr Projekt, welches einen kollaborativen audiovisuellen Ansatz verfolgte. Der Film „Entre Memorias“ (PE 2015, 34 Min.) handelt von dem bewaffneten Konflikt in Peru (1980-2000). Es wird versucht einen audio-visuellen Dialog zwischen den Erinnerungen der Familienangehörigen der Verschwundenen, Rebell*innen der revolutionären Bewegung Tupac Amaru (MRTA) und Mitgliedern der Peruanischen Armee zu kreieren. Zwölf Jahre, nachdem die Wahrheitskommission ihren Endbericht vorgelegt hat, sind die Erinnerungen an die Zeit umstrittener denn je. Im sehr gut besuchten Alois Wagner Saal – der Raum platzte förmlich aus allen Nähten – folgte ich der Einleitung der Filmemacherin. Sie erklärte, dass es ihr Ziel gewesen sei, über persönliche Erfahrungen zu berichten und dabei diverse Geschichten in den Vordergrund zu rücken. Ihr sei dabei wichtig zu betonen, dass Erinnerungen plural sind; sie sind politisch, aber auch persönlich, vielschichtig und widersprüchlich.

Nach dem Film und der Diskussionsrunde konnte ich nachvollziehen, was Martha Dietrich meinte. Die Diskussionsrunde startete mit Gloria Huamán Rodríguez, die zusammen mit Rebeca Sevilla und der Regisseurin auf dem Podium saß. Gloria Huamán Rodríguez ist in der Andenprovinz von Huancavelica (Peru) geboren und studierte Rechtwissenschaften in Ayacucho und in Wien. Rebeca Sevilla ist ebenfalls in Peru geboren und war Vorsitzende der Homosexuellenbewegung in Lima. Beide Diskutantinnen sind Menschenrechtsaktivistinnen und setzen sich schon lange für Frauen*rechte ein.

Gloria Huamán Rodríguez machte sich dafür stark, dass Fakten und Tatsachen in Erinnerung bleiben sollen. Sie ging auf Eudosia, eine indigene Frau im Film ein, welche seit 30 Jahren nach den Überresten ihres Mannes sucht. Für die Rechtswissenschaftlerin vertritt Eudosia all die indigenen Frauen, welche am meisten unter der Gewalt des bewaffneten Konflikts gelitten haben. Sie waren die Gruppe, die von den Terrorist*innen – so werden die Rebell_innen der revolutionären Bewegung Tupac Amaru (MRTA) bezeichnet –, aber auch den Militärs am meisten massakriert wurden. Unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung wurden ganze indigene Dörfer ausgerottet und bis heute werden Indigene von den westlichen Bewohner*innen Perus diskriminiert. Für Gloria Huamán Rodríguez war klar, wenn wir wirklich die Wahrheit darüber erfahren wollen, was in Peru passiert ist, dann nicht von den hochrangigen Militärs, sondern von den indigenen Communities, welche auch heute noch marginalisiert und in der offiziellen Geschichtsschreibung überhört werden.

Für Rebeca Sevilla zeigte der Film das Dilemma zwischen dem Umgang mit Geschichte und Erinnerungen. Für sie kommt in einer offiziellen Erinnerung vieles nicht vor, an das wir nicht erinnert werden sollen und wollen. Erinnern heißt auch Gerechtigkeit zu suchen, und ein Leben in der Gegenwart ist ohne Erinnern nicht möglich. Sie plädierte dafür, sich auch daran zu erinnern, dass viele indigene Frauen bereits in den 1960er Jahren zwangssterilisiert wurden. Offiziere und Ärzte haben sich an den Sterilisationskampagnen beteiligt. Im Film wurde ein Offizier gezeigt, welcher erzählte, dass er ausschließlich Befehle ausgeführt habe. Genau dieses Argument, mahnte Rebeca Sevilla, dürfen wir nicht hinnehmen, denn als Menschen haben wir eine Verantwortung, welche wir nicht aus den Augen verlieren dürfen. Um Verantwortung zu übernehmen, ist es unabdingbar, auf die Erinnerungen der Frauen zu hören und diese ernst zu nehmen. Denn Gewalt gegen Frauen ist kein Phänomen der Vergangenheit. Auch in der Gegenwart sind Abtreibungen in Peru noch immer illegal und die Rate der Gewalt gegen Frauen ist nach wie vor hoch. Zudem appellierte Rebeca Sevilla dafür, über Angst zu reden. Dies sei ganz wichtig, da wir uns hierdurch erinnern und uns so für Gerechtigkeit in der Gegenwart einsetzen können. Sie stimmte ihrer Vorrednerin zu, dass die Frauen von den Terrorgruppen instrumentalisiert wurden, allerdings forderten diese auch Gerechtigkeit, weshalb sich viele indigene Frauen dieser Bewegung anschlossen.

Zum Schluss der Publikumsrunde kam die Frage auf, wie die Reaktionen auf den Film in Peru waren. Vor allem, da der Film auch „Terrorist*innen“ zu Wort kommen ließ. Martha Dietrich erzählte daraufhin von den Kontroversen in Peru. Bei der Premiere waren alle Personen, die im Film vorkommen, anwesend – außer die „Terrorist*innen“, da sie im Gefängnis sitzen. Allerdings kamen deren Kinder zur Premiere. Die Regisseurin berichtete von den Reaktionen der jeweiligen Gruppen auf Redebeiträge und empfand diese besonders aussagekräftig. Vor allem, welchen Akteur*innen mit Sympathie begegnet wird und welchen nicht – so wurde bei keinem Redebeitrag der Kinder der „Terrorist*innen“ applaudiert, was sonst bei allen anderen Beiträgen der Fall war. Hieran zeigte sich, welche Erinnerung als „wahr“, „falsch“ oder besonders aussagekräftig erachtet wurde und welches Bild die peruanische Öffentlichkeit von dem bewaffneten Konflikt besitzt.

Der Film und die Diskussion warfen bei mir viele Fragen auf, vor allem was die Schuldfrage betrifft. Aber vielleicht ist es auch genau das, was der Film vermitteln wollte: Einblicke in persönliche Geschichten, welche vor allem Fragen aufwerfen und nicht das Bestreben haben, abschließend klären zu wollen, wer Schuld hat. So sind Erinnerungen divers, verschieden, kompliziert, verflochten und kontrovers. Und wenn mensch sich die Zeit nimmt Erinnerungen anzuhören, dann wird die häufig eindimensionale dominante Geschichtsschreibung brüchig und es eröffnet sich ein Mosaik aus vielen verschiedenen Geschichten, die alle Teil einer Gesellschaft sind, denn Erinnerungen sind verschieden und sie leben in der Gegenwart weiter!